MM: Tja, Pfingsten ist eben nicht Weihnachten.
VS: Wenn man bedenkt, wie die anderen christlichen Feste gefeiert werden: Weihnachten beginnt ja praktisch schon im August, wenn die ersten Schokoladen-Nikoläuse in den Supermarkt-Regalen stehen. Heiligabend überhäufen wir uns mit Geschenken. Und auch Ostern kündigt sich schon Wochen vorher in der Fastenzeit an. Bunte Plastik-Eier werden in die Sträucher gehängt und Schokoladen-Osterhasen lachen uns schon im Januar an. Im Vergleich dazu geht Pfingsten ganz schön leer aus. Woran liegt das?
MM: Das Pfingstfest hatte es noch nie ganz leicht. Nach der Advents- und Weihnachtszeit, Ostern und Himmelfahrt erscheint es wie das fünfte Rad am Wagen. Man denkt an Frühling, plant für das verlängerte Wochenende vielleicht einen Ausflug mit Picknick, genießt die Natur. Aber warum wir Pfingsten feiern, könnten viele heute kaum noch sagen. Also warum dann Geschenke?
VS: Liegt es vielleicht daran, dass Pfingsten so wenig greifbar ist? Der Schokoladen-Nikolaus signalisiert klar: bald ist Advent, der belichterte Tannenbaum klar: bald ist Weihnachten, die Schokoladen-Eier klar: bald ist Ostern. Diese Feste haben ihre Symbole und Erkennungsmerkmale. Was soll man zu Pfingsten schmücken? Welche Süßigkeiten würden zu diesem Fest passen?
MM: Ja, eine echte Marktlücke. Ich wüsste allerdings auch nicht, wie der Heilige Geist aus Schokolade aussehen könnte. Und wenn jemand auf die Idee käme, sich – ähnlich so wie Weihnachten einen Stern – zu Pfingsten eine Taube ans Fenster zu hängen, käme wohl kaum ein Passant auf den Gedanken, dass die wegen Pfingsten dort hängt.
VS: Aha, die Taube. Ja, ich erinnere: die ist öfter in Kirchenfenstern zu sehen. Und auch in dem Taufbecken, in dem unsere Kinder getauft wurden, ist sie abgebildet. Da haben wir doch ein Symbol! Aber – mmh, ich könnte jetzt aus dem Stehgreif nicht sagen, warum die Taube etwas mit Pfingsten zu tun hat.
MM: In der Bibel gibt es eine Geschichte, die erzählt, wie Jesus von Johannes dem Täufer im Jordan getauft wird. Dort heißt es dann: „als Jesus aus dem Wasser stieg, sah er, dass sich der Himmel öffnete und der Geist wie eine Taube auf ihn herabkam.“ (Markusevangelium, Kap. 1). Die Taube steht also symbolisch für den Heiligen Geist, den Gott jedem Menschen schenkt und damit die Beziehung stiftet. Dafür steht die Taufe als Zeichen und Siegel.
VS: Gehört die Taube nicht eigentlich zu den Raubvögeln? Warum wird gerade sie mit dem Heiligen Geist verglichen? Doch sicher nicht, weil Tauben so andächtig gurren, oder?
MM: Wer weiß, wer weiß!? Ohne den Heiligen Geist hätten wir Menschen jedenfalls kein Gespür fürs Unendliche, keinen Sinn für die Andacht, keinen Draht zu Gott. Aber mit der Taube wird wohl auch Bezug genommen auf eine andere Geschichte, die im Alten Testament steht (1. Mose, Kap. 8). Die Arche Noah ist ja bekannt. Als Noah prüfen will, ob das Wasser der Sintflut zurückgegangen ist, sendet er vier Mal einen Vogel aus: das erste Mal einen Raben, aber dann drei Mal eine Taube. Die vorletzte Taube brachte ein Ölblatt mit. Da wusste Noah, es dauert nicht mehr lange. Die letzte kam dann nicht mehr zu ihm zurück, sie hatte festes Land zum Bleiben gefunden.
Gott schließt einen Bund mit Noah, verspricht ihm künftigen Schutz und Segen für die Menschheit. In der Taufe ist der Bund, den Gott mit jedem einzelnen Menschen schließt, ja auch ein Ausdruck für Schutz und Segen. Hier wie dort ist die Taube mit im Spiel.
VS: Trotzdem hat die Taube es bisher nicht in die Supermarkt-Regale geschafft. Eher lassen die Leute die fröhlich bunten Eier von Ostern bis Pfingsten hängen.
MM: Tja, ob es ihnen bewusst ist oder nicht: damit setzen sie ein bedeutungsvolles Zeichen, sehr im Sinne der christlichen Tradition. Die Osterzeit geht ja offiziell auch bis Pfingsten, genauer gesagt: An Pfingsten vollendet sich das österliche Geheimnis, kommt dort eigentlich erst ans Ziel.
VS: Wenn das die Supermarkt-Betreiber wüssten!
MM: Ja, mit Fug und Recht könnten sie alle Oster-Artikel viel länger zum Verkauf anbieten, eben bis in die Pfingstwoche hinein. Ostern und Pfingsten sind eigentlich gar nicht zu trennen. Ursprünglich waren es ja auch nicht zwei, sondern mit Christi Himmelfahrt dazwischen ein in sich zusammenhängendes großes Fest über 50 Tage. Daher der Name: Pfingsten (von lat. Pentekoste, fünfzig). Nach der Erzählung des Lukas geschah 50 Tage nach Ostern ein großes Sprach-Wunder, das bis heute als die Geburtsstunde der weltweiten Kirche gilt.
VS: Die Weihnachtsgeschichte kennen alle. Dagegen führt die Pfingstgeschichte bei den meisten wohl eher ein Schattendasein.
MM: Es ist eine Geschichte voller Merkwürdigkeiten. Ein Brausen in der Luft und Feuerzungen zeigen das Kommen des Geistes an. Luft und Feuer sind im Spiel. Später kommt noch das Wasser dazu: dreitausend lassen sich taufen. Licht, Trost und Lebenskraft sind die Phänomene, die alle Anwesenden gleichermaßen zu spüren bekommen. Kein Hirngespinst, keine Einbildung. Menschen aus aller Herren Länder, die von ihrer Herkunft, Sprache, Kultur, Religion usw. so was von verschieden sind, können sich auf diese Erfahrung hin einander verstehen und verständigen, fühlen sich durch diesen Geist miteinander verbunden wie Geschwister. Schnell merken sie, was das mit Ostern zu tun hat: die Auferstehung Jesu von den Toten ist echt und für uns geschehen; das Geschenk des neuen Lebens hat Strahlkraft; wir selber können jetzt im Glauben daraus schöpfen und hoffnungsvoll leben. Die Macht der Liebe Gottes ist stärker als die Macht des Todes. Das ist uns bleibend bewusst geworden.
VS: Also wenn ich das so höre, wundert es mich nochmal mehr, warum es zu Pfingsten keine Geschenke gibt. Weihnachten in allen Ehren und auch Hut ab vor Ostern. Aber was bleibt von diesen Highlights unter den christlichen Festtagen, wenn es Pfingsten nicht gäbe?
MM: So ist es. Man kann sagen, von Pfingsten her haben wir eigentlich erst den Sinn und Verstand für Ostern und Weihnachten. Die Festtage stehen falsch herum in unseren Kalendern. Mit Pfingsten müsste es beginnen; von daher leuchtet dann als erstes der Sinn von Ostern ein; und weil der gekreuzigte und auferstandene Jesus Christus auch irgendwann einmal geboren sein muss, kommt zum Schluss Weihnachten. Verkehrte Welt, sage ich da nur.
VS: Wie verbringen Sie persönlich die Pfingsttage?
MM: Wenn das Wetter mitspielt, steigen wir – meine Frau und ich – nach dem Gottesdienst mit Picknicksachen auf die Fahrräder und fahren ohne Plan drauflos. Auf diese Weise haben wir schon oft traumhafte Plätzchen entdeckt und uns gewundert, dass es so etwas in Hamburg gibt.
VS: Etwas Neues entdecken – das hat ja auch mit Pfingsten zu tun.
MM: Und wie! Das Leben ist ja voll davon und beschenkt uns unaufhörlich. Man muss es nur sehen lernen.
VS: Soll einer sagen, zu Pfingsten gäbe es keine Geschenke. Vielen Dank, Pastor Marks, für das anregende Gespräch.
MM: Gern. Frohe Pfingsten!