Eine Geschichte über Scham,
Bedürftigkeit und Selbstverantwortung
Was ist hier vorgefallen?
Petra verbringt ein Wochenende bei ihrer alten Schulfreundin. Sie braucht eine Auszeit. Abstand vom Alltag und von ihrer Ehe. Sie spürt schon länger, dass etwas nicht stimmt.
In einer anderen Umgebung will sie sich Klarheit verschaffen. Die Gespräche mit der alten Freundin waren tief und lang. Doch die erhoffte Erkenntnis bleibt aus. Zuerst.
Nach ihrer Rückkehr denkt Petra immer wieder über die letzten Tage nach. Etwas war besonders. Zwischen ihrer Freundin und dem Partner lag Vertrauen in der Luft. Verbindung und Wärme waren spürbar. Plötzlich fällt es ihr wie Schuppen von den Augen. Es waren die Berührungen, die das Ehepaar immer wieder ausgetauscht hat. Fast unmerklich. Nebenbei. Im Alltagsgeschehen. In der Küche. Beiläufig und doch so liebevoll, vertraut. Und das nach all den Ehejahren. Petra sitzt bewegungslos auf ihrem Sofa. Ihr Blick ist starr. Ihr Hals eng. Ihre Tränen beginnen langsam zu fließen.
Klaus hat sie seit Jahren nicht mehr berührt. Nicht einmal beim Sex. Dabei hat sie sich so viel Mühe gegeben, obwohl sie schon lange kein Verlangen mehr nach ihm hatte. Doch ihre Sehnsucht war so groß, dass sie sich Woche um Woche überwunden und mit ihm geschlafen hat. Seit Jahren. Doch statt der gewünschten Nähe war die Einsamkeit anschließend noch größer.
Petra ist fassungslos: „Wie konnte ich das so lange nicht erkennen? Wie konnte ich das so lange ignorieren? Wie konnte ich mir das selbst so lange antun?“ Petra ist entsetzt und sehr verletzt. Für sie ist die sofortige Trennung die einzige Möglichkeit. Das ist sie sich selbst schuldig.
Was sagt die Expertin?
Nach einigen Monaten kommt Petra zu mir. Sie hat in der Zwischenzeit nachgedacht. In den ersten Wochen hat sie Klaus für ihre Situation verantwortlich gemacht. Schließlich hat er sie nicht mehr berührt. Er hat ihr nicht gegeben, was sie wollte. Petra ist eine kluge Frau. Sie hat erkannt, dass sie ebenfalls dazu beigetragen hat. Sie hat mitgemacht und nichts unternommen. Petra will nun wissen, was sie anders machen kann, damit das beim nächsten Mann nicht wieder passiert. Ihn möchte sie nämlich unbedingt in ihr Leben ziehen. Schließlich hat sie sich nicht getrennt, um alleine zu bleiben.
Wir beleuchten gemeinsam Petras Situation. Wie ist es zu dieser Entwicklung kommen? Sie erinnert sich an die Anfangszeit. Petra erzählt, dass sie zu Beginn das Bedürfnis nach mehr Berührung und körperlicher Nähe geäußert hat. Doch es ist bei Klaus nicht angekommen. Nachdem Petra einige Male das Gespräch gesucht hat und nicht verstanden wurde, hat sie sich immer mehr zurückgezogen.
„Ich habe mich für mein Bedürfnis geschämt. Das tue ich immer noch. Ich halte mich selbst für bedürftig. Das wollte ich nicht sein. Ich bin eine starke, selbstbewusste Frau. Doch ich wusste nicht, wie ich damit umgehen soll. Ich wollte das Bedürfnis über Sex befriedigen. Das ist doch die Art, wie erwachse Menschen sich körperlich näher kommen. Das dachte ich zumindest.“
„Ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben, dass dies richtig ist und funktioniert. Schließlich machen das alle so. Und ich habe mich immer weniger ernst genommen. Ich dachte an mir ist etwas falsch. Ich hatte Angst vor Ablehnung, Ausgrenzung und Verachtung. Dabei habe ich mich und mein Bedürfnis selbst abgelehnt. Und ich habe mich dafür verurteilt. Das erkenne ich gerade. Jetzt. Hier. Beim Sprechen. Und dann ist da immer wieder diese Scham. Sie lässt mich nicht los. Auch jetzt nicht. Darf ich mich so zeigen? Diese Frage sitzt tief. Mein Kopf sagt ja, doch in meinem Körper kann ich es nicht spüren.“
Jetzt mit Abstand erscheint es ihr gar nicht mehr so schwer. Gedanklich geht sie noch einmal zurück in die alte Situation. Sie stellt fest, dass da viel Angst und Druck in ihr ist. Es fällt ihr schwer ihre eigene Scham wahrzunehmen, geschweige denn, zu benennen.
Petra ist still, ihre Augen sind geschlossen. Sie atmet, fühlt und durchlebt das Alte. Dann öffnet sie ihre Augen. Sie blickt mich ruhig an. Ich habe meine Rolle erkannt. Ich habe mich in mich zurückgezogen und bin mit meinen Gefühlen alleine geblieben. Im Zusammensein mit Klaus habe ich gehandelt, als wäre alles wie immer. Doch in mir war alles anders. Darüber bin ich hinweg gegangen. Meine Gefühle habe ich unwissentlich in mich eingesperrt. Ich verstehe. Wenn ich möchte, dass sich etwas ändert, dann muss ich etwas ändern. Ich muss mich selbst wahrnehmen. Und aus der Wahrnehmung heraus agieren und kommunizieren.
Ich bin beeindruckt. Petra versteht unglaublich schnell. Sie ist bereit, Verantwortung für ihr Gefühle und ihre Bedürfnisse zu übernehmen, anstatt sie jemandem anderen zuzuschieben. Das geht bei den meisten Menschen nicht so schnell. Doch die Bereitschaft zu leiden sinkt stetig. Daher sind immer mehr Menschen bereit in die Selbstverantwortung zu gehen. Sie fragen sich, was kann ich tun, anstatt was wird mit mir getan? Petra ist noch unsicher. Sie will ab heute Berührungen, vor allem beim Sex, aktiv gestalten. Sie will wissen, was sie tun kann. Das braucht Geduld, Achtsamkeit und Verbindung. Mit dir selbst und mit deinem Gegenüber. Und immer wieder den Mut, nach innen zu gehen und zu dir selbst zu stehen. Mehr dazu erfahren Sie auf meiner neuen Webseite, sobald diese online ist. Bis dahin wünsche ich Ihnen eine wundervoll, selbstbestimmte Frühlingszeit.