„Hört bitte auf zu streiten!“ – Wie wir die Geschwisterbeziehung stärken können

Im letzten Heft habe ich beschrieben, wie sich Kinder in ihren verschiedenen Geschwisterkonstellationen fühlen und welche Strategien sie wählen könnten, um ihren Platz in der Familie zu finden. Heute geht es darum, die Geschwisterbeziehungen zu stärken und mit Konkurrenz, Streit und Rivalität umzugehen.

Konkurrenz kann leise stattfinden. Manchmal nur dadurch bemerkbar, dass Kinder sich unterschiedlich entwickeln und sehr verschieden sind. Rivalität wird meistens offen ausgetragen: Neid, petzen, streiten, versuchen, Eltern gegeneinander auszuspielen. Häufig geht es dabei um das „Gesehen werden“, um die Aufmerksamkeit der Eltern.

Geschwister kennen sich genau und wissen daher, wie sie sich gegenseitig auf die Palme bringen können. Es kann sein, dass die Kleinen die Großen so lange triezen, bis diese ausrasten und dafür Ärger bekommen (andersherum geht es natürlich auch). Erkennen Eltern das nicht und wird immer der oder die Älteste gemaßregelt, kann er:sie dies als ungerecht empfinden und mit „schwierigem“ Verhalten reagierenWie kann ich mit meinen Kindern so umgehen, dass sie möglichst wenig rivalisieren (müssen)?

Nun, zunächst ist es gut, Machtkämpfe zu erkennen und sich möglichst rauszuziehen.

Oft wollen Kinder, dass wir eingreifen, wenn sie streiten. „Mama, Mira hat mich gehauen!“ Hier ist es gut, erst zu beobachten, ob die Kinder eigene Lösungsstrategien haben und ob der oder die Kleine wirklich unseren Schutz benötigt.

Wenn Geschwister sich hauen, ist das schwer auszuhalten. Es hilft, darauf zu vertrauen, dass sich Geschwister meistens nicht ernsthaft wehtun wollen. Oft geht es um unsere Aufmerksamkeit. Gehen wir darauf nicht ein, kann der Kampf schnell vorbei sein. Dann wissen wir: „Es ging eigentlich um uns“. Wenn es nicht um uns gehen sollte, finden Kinder auch Möglichkeiten, sich zu hauen, wenn wir nicht da sind, um es zu verhindern.

Was können wir tun, wenn wir uns nicht raushalten möchten?

Zu Beginn ist es besser zu fragen, ob die Kinder Hilfe möchten, statt danach wer Schuld hat.

Wichtig ist es, beide zu trösten, denn beide haben Not, egal was vorgefallen ist.

Wir können uns berichten lassen, was sie gerade stört und ihre Gefühle benennen. Oft hört der Streit auf, wenn Kinder in ihren Gefühlen gesehen und gehört werden. Sie lernen außerdem, sich gegenseitig zu verstehen und ihre Gefühle zu verbalisieren: „Ich war sauer und dann hab‘ ich dich gehauen.“

Wir können Lösungswege aufzeigen: „Wenn es dich stört, dann sag, dass du das nicht willst oder gehe weg. Ihr müsst euch abwechseln, euch einigen was ihr spielt, wer zuerst darf, usw.“ und unsere allgemeingültigen Regeln nennen, ohne Partei zu ergreifen.

Um Konkurrenz und Rivalität zu vermeiden ist es gut

  • keine Vergleiche zwischen Geschwistern zu ziehen. Vergleiche wirken entmutigend für das Kind, das dabei schlechter wegkommt. Manchmal sind Vergleiche gut gemeint und sollen aufbauend sein, sie wirken aber trotzdem entmutigend: „Wenn du dich mehr anstrengen würdest, könntest du genauso gut Rad fahren, wie dein Bruder.“ Besser ist es, die speziellen Fähigkeiten, Interessen und Neigungen jedes einzelnen Kindes zu erkennen und wertzuschätzen.
  • die eigenen Erwartungen zu reduzieren. Geschwister müssen sich nicht (immer) liebhaben. Sie haben sich nicht freiwillig dafür entschieden.
  • Bei Eifersucht Verständnis zu haben und ein Gespräch über das eigene Empfinden zu führen: Weißt du, auch ich muss Mama/Papa mit euch teilen und ich verstehe, dass das nicht immer schön ist.“ Eifersucht darf sein und sie geht nicht einfach weg, nur weil Eltern sagen, dass sie nicht da sein braucht oder soll.
  • Umsichtig mit dem Wort „der*die Große“ umzugehen. Oft ist damit der Anspruch verbunden, der:die Erstgeborene müsse es schon selbst können, sich zurückhalten, Rücksicht nehmen, usw. was dazu führen kann, dass Groß-Sein negativ behaftet wird. Und nicht vergessen, die Jüngeren wollen auch gesehen werden und sich groß fühlen und die „Großen“ sind auch Kinder und müssen nicht alles können.

Das Beste, was wir tun können ist, jedem Kind einzeln Extrazeit mit uns zu ermöglichen. Und zwar regelmäßig und gerade dann, wenn ein Kind „schwierig“ wird. Denn dann ist es häufig entmutigt und versucht, durch negatives Verhalten Aufmerksamkeit zu erlangen. D.h. Alleinzeit mit Papa und mit Mama und bestenfalls auch mit beiden zusammen, ohne die Geschwister. Es reichen schon ein paar Minuten am Tag. Wichtig ist, dass es regelmäßig, verlässlich und freiwillig stattfindet, ohne dass die Kinder darum „betteln“ müssen.

Es ist gut herauszufinden, was welches Kind gerne macht, denn das kann unterschiedlich sein. Das eine möchte kuscheln, das andere Fragen des Lebens besprechen. So können wir jedem Kind das geben, was es braucht, auch ohne Riesenaufwand. Wir müssen nicht mit jedem Kind einen Wald-Spaziergang planen, wenn eines das gar nicht gerne macht.

Um die Geschwisterbeziehung zu fördern und zu stärken könnten Eltern

  • positive gemeinsame Erlebnisse ermöglichen, wie gemeinsames Baden, in den Wald gehen, Kekse backen. Das Verbindet und liefert schöne gemeinsame Erinnerungen.
  • kooperative Spiele spielen. Es verbindet und verringert Konkurrenz. Wir stellen z.B. Aufgaben, die sie nur gemeinsam lösen oder auch gegen die Eltern spielen können.

Kooperative Spielideen:

Schnitzeljagd.

Doppelrolle (mit den Füßen immer in Kontakt bleiben und zum Ziel rollen)

Luftballontanz

Stopp-Tanz

Blinder Hindernislauf („blinde:r“ Partner:in wird durch Klatschen zum Ziel geführt)

Gemeinsam einen Barfußparcours, ein Geräusche- oder Geschmacks-Memory erstellen

Sein Gegenüber zum Lachen bringen

Verstecken spielen

Mein rechter, rechter Platz ist frei

Rückenmassage: Kuchen, Pizza oder Gewitter

Spiegelbild (Haltung oder Mimik des Gegenübers nachmachen)

Rücken an Rücken aufstehen

Gemeinsamkeiten finden (Haarfarbe, Lieblingsessen, -farbe, -tier, -lied, -ort, -geschichte, Kita, Eltern,…)

Zum Schluss wünsche ich allen Eltern einen positiven Blick auf die vielen Momente, in denen die Kinder gut miteinander umgehen. Und die Fähigkeit, auch im Stress zu erkennen, was Geschwister aneinander haben: Sie erwerben Konfliktlösefähigkeiten und soziale KompetenzenRücksicht nehmen, Warten, Teilen, Trösten, Impulskontrolle, sich entschuldigen, diskutieren, andere Meinungen gelten lassen. Sie haben immer jemanden zum Spielen, können sich auch mal gegen die Eltern verbündenund die Verantwortung teilen. Sie lernen miteinander anders als durch Erwachsene, können zusammen kichern und Quatsch machen, den Erwachsene nicht nachvollziehen können

Diese schönen Augenblicke sollten wir möglichst nicht unterbrechen und dürfen sie aus vollem Herzen genießen.

Jessica Rother ist Diplom-Pädagogin, individualpsychologische Beraterin und Logopädin. Sie bietet Kurse, Coachings und Supervision zu erzieherischen, beruflichen oder persönlichen Themen für Fachkräfte und Eltern an. Mit ihrer Familie lebt sie in Hamburg-Rahlstedt.

Infos auf www. Jessica-Rother.de und Facebook: Jessica Rother – Erziehungscoaching.

Kontakt: Mail@Jessica-Rother.de

Jessica Rother