VS: Herzlich willkommen, Pastor Marks, hier bei uns im Redaktionsbüro.
MM: Danke für die Einladung.
VS: Wie immer, möchten wir auch heute mit Ihnen über ein aktuelles Thema sprechen. Der Krieg in der Ukraine geht uns allen durch Mark und Bein.
MM: Himmelschreiendes Unrecht, was da geschieht. Ein souveräner Staat, ein selbstständiges Volk mit eigener Kultur, mit großer Sehnsucht nach Freiheit, mit eigenem Lebensrecht und einem unantastbaren Territorium ist ohne jede Not und ohne jeden nachvollziehbaren Grund angegriffen worden. Ein solches Unrecht ist unerträglich. Unser aller Mitgefühl gilt den Menschen, die durch diesen hirnlosen Krieg eines machtbesessenen, verrückt gewordenen Diktators in großes Leid gestürzt werden.
VS: Die Hilfsbereitschaft ist groß, in den Nachbarländern der Ukraine, auch bei uns in Deutschland, in Hamburg, in Rahlstedt. Wie geht die Kirchengemeinde damit um?
MM: Die enorme Betroffenheit ist überall zu spüren. Einige Familien haben Flüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen. In allen Gottesdiensten und Andachten sammeln wir Spenden, die über die Katastrophenhilfe des Diakonischen Werkes unbürokratisch und schnell dort sind, wo sie gebraucht werden. An allen vier kirchlichen Standorten hängen große Banner: „Suche Frieden!“. Wir beteiligen uns an der Aktion von amnesty international „7 Wochen für die Menschenrechte“, an den Friedensdemos in der Stadt und anderen Maßnahmen. Und natürlich wird in unserer Gemeinde unaufhörlich für den Frieden in der Ukraine sowie in anderen Kriegs- und Krisenregionen gebetet.
VS: Das Sprichwort sagt ja: Not lehrt beten. In Krisenzeiten wie der Pandemie und jetzt des Krieges scheint es sich wieder zu bewahrheiten. Sogar Leute, die dem christlichen Glauben distanziert gegenüberstehen, kommen jetzt in die Kirche, entzünden ein Friedenslicht und beteiligen sich an den Friedensgebeten. Können Gebete helfen, einen Krieg zu beenden?
MM: Ja, davon bin ich fest überzeugt. Gebete bewirken mehr, als wir oft denken, mehr als es uns bewusst ist. Die Montagsgebete damals in der DDR sind das beste Beispiel. Sie haben ganz wesentlich zum friedlichen Verlauf der Demonstrationen zur Wiedervereinigung beigetragen.
VS: Aber wenn Menschen hier in Rahlstedt beten, bekommt in Russland und der Ukraine doch niemand etwas davon mit. Also kann man es doch gleich sein lassen, oder?
MM: Das wäre ein arges Missverständnis. Ich bete ja nicht zu Putin oder zu den anderen Strickziehern des Krieges. Auch nicht zu den Leidtragenden. Ich bete zu Gott. Und das tue ich in der Gewissheit, dass seine Macht größer ist als alle Mächte der Welt. Nicht ich bin es, der beim Beten das Ruder herumreißt, sondern Gott ist da am Werk.
VS: Und wie funktioniert das? Ich könnte mir vorstellen, dass manche unserer Leserinnen und Leser sich das auch fragen. Einerseits die Hoffnung, dass es gut sein könnte, in dieser Situation jetzt auch die Hände zu falten. Andererseits die Fragen und Zweifel, ob es Gott gibt, ob er mein Gebet erhört, ob er einem Diktator, der nur an sich, aber nicht an Gott glaubt, wirklich in die Speichen fallen und das Böse beenden kann.
MM: Fragen und Zweifel gehören zum Glauben dazu. Aber schon, wenn jemand auf den Gedanken kommt, dass Beten jetzt dran ist, hat die Hoffnung gesiegt.
VS: Es heißt ja auch: Die Hoffnung stirbt zuletzt.
MM: Ja, und da hilft das Gebet, wie ein letzter Strohhalm, an den wir uns klammern können. Wenn der Boden unserer vermeintlichen Sicherheiten ins Wanken gerät oder einbricht, wenn wir erfahren müssen, dass wir unser Leben nicht selbst in der Hand haben, sondern Mächten ausgeliefert sind, die wir nicht beherrschen, dann ist das Gebet ein Mittel gegen die Ohnmacht und Hilfslosigkeit.
VS: Ein Rettungsanker.
MM: Sie sagen es. Wenn ich bete, gestehe ich mir ein, dass ich bedürftig bin. Beten ist ja kein Selbstgespräch, auch nicht bloß ein meditativer Flow. Mein Gebet hat einen Adressaten. Wenn ich bete, wende ich mich an ein Gegenüber, dem ich zutraue, dass er wirklich helfen kann. An eine allmächtige Autorität, die Güte ausstrahlt und das Gute für uns und alle Menschen will. Beten heißt Reden mit Gott und Hören auf Gott. Letzteres wird oft vergessen.
VS: Ich frage mich sowieso, wie Gott ein Ohr haben kann für die Fülle von Gebeten, die weltweit im Sekundentakt auf ihn einprasseln.
MM: (lacht) Wie das geht, weiß ich auch nicht. Aber das muss Gott sei Dank nicht unsere Sorge sein. Klar ist aber, dass nicht nur wir Gott, sondern auch Gott uns etwas zu sagen hat. Und dass wir ihn erst hören können, wenn wir still werden, ihn nicht nur mit unseren Wünschen und Anliegen zutexten, sondern bei uns, unter uns und in uns selbst zu Wort kommen lassen. Denn er weiß besser, was wir brauchen.
VS: Aber da schwirren so viele Stimmen in mir und um mich herum. Woher weiß ich denn, dass es Gottes Stimme ist?
MM: Wir werden es gewahr. Vielleicht nicht direkt, weil seine Stimme oft leiser ist als die anderen und uns manchmal durch Menschen erreichen will, denen wir es nicht abnehmen, dass durch sie Gott zu uns spricht. Aber so lerne ich es aus der Bibel, aus Gesprächen und eigenen Erfahrungen: Gott sorgt selbst dafür, dass sein Wort bei den Menschen Gehör findet und nötige Veränderungen in Gang kommen.
VS: Aber stimmt das Sprichwort dann noch, dass Not die Lehrmeisterin des Gebets ist?
MM: Eine gute Frage. In der Bibel steht etwas anderes. Paulus, der erste große Theologe der Christenheit, blickt da weiter. Er ist überzeugt: Wir Menschen kämen gar nicht auf den Gedanken zu beten, wenn wir nicht zuvor bereits von Gott berührt worden wären. Wörtlich heißt es in seinem Römerbrief: „Wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich´s gebührt. Der Geist selbst tritt für uns ein mit unaussprechlichem Seufzen.“ (Römer 8, 26). Das heißt: Unser Bedürfnis zu beten ist von Gott initiiert. Der Heilige Geist ist die Lehrmeisterin des Gebets.
VS: Dann brauchen wir in unseren Gebeten also Gott gar nicht erst herbeizurufen, weil er, indem wir beten, schon da ist. Dann machen die Friedensgebete für die Ukraine ja richtig Sinn.
MM: Und wie! Jedes einzelne Gebet zwingt die Kriegstreiber in die Knie. Jedes Gebet trägt dazu bei, dass sie merken: ‚Da ist jene höhere Macht am Werk, gegen die ich machtlos bin.‘ Und dann stehen sie vor der Entscheidung: Sich von Gott ins Herz und Gewissen reden zu lassen, zur Vernunft zu kommen, von ihren zerstörerischen Machenschaften abzulassen und aus dem Bösen Gutes entstehen zu lassen. Oder sich gegen Gott aufzubäumen, um am Ende zu verlieren und unterzugehen. Gottes Kraft ist unbesiegbar. Das lehrt die Geschichte: Sein Einstehen für das Gute, seine Liebe zu den Menschen und allem Lebendigen behält immer das letzte Wort.
VS: Hoffen wir, beten wir, damit dieser Krieg bald ein Ende hat. Vielen Dank, Pastor Marks, für dieses Gespräch. Für die nächste Ausgabe sprechen wir mit Ulrike Frick, der Kirchenmusikerin der Gemeinde.
MM: Ja, nach Corona bedingter Pause gibt es dieses Jahr wieder ein Musical, das sie mit den Mitgliedern ihrer Chöre aufführen wird. Darüber werden wir sprechen. Man darf gespannt sein.
VS: Sind wir schon. Also bis demnächst …