VS: Sie wissen ja schon, Pastor Marks, dass unsere Fragen an Sie immer ein bisschen ungewöhnlich sind. Aber wenn wir darüber ins Gespräch kommen, erfahren wir oft ungeahnt Neues. Und so lautet unsere heutige Frage: Was meinen Sie, würde Jesus bei „Fridays for Future“ mitmachen?
MM: (Lacht). Ich denke schon. Unter den vielen jungen Leuten würde er wohl kaum auffallen. Aber Sie stellen die Frage ja sicher aus einem bestimmten Grund.
VS: Natur- und Klimaschutz sind zunehmend brisante Themen. Und jetzt im Frühling und Sommer zieht es die Menschen hinaus. Wir freuen uns auf Aktivitäten im Freien bei angenehmen Temperaturen, spüren wieder, wie gut das tut. Und dann kommt der Gedanke, wie bedroht die Schöpfung ist.
MM: Meinen Sie, die Fridays-for-Future-Bewegung würde ernster genommen, wenn die Menschen wüssten, dass Jesus die Sache unterstützt? Ähnlich wie bei anderen Hilfsaktionen, wo sich Promis engagieren oder die Schirmherrschaft übernehmen?
VS: Ja, damit einfach mehr Aufmerksamkeit und Tatendrang entsteht. Wie steht die Kirche zum Klimaschutz? Was tut sie für den Naturschutz? Im Schöpfungsbericht am Anfang der Bibel heißt es doch: Gott hat die Welt erschaffen, Himmel und Erde, Pflanzen und Tiere usw. Da kann es ihm doch nicht egal sein, was wir Menschen damit anstellen.
MM: Nun reden wir auf verschiedenen Ebenen. Natur im biologischen Sinne ist ja nicht dasselbe wie Schöpfung im biblischen Sinne. Wer einen bewussteren und verantwortungsvolleren Umgang mit der Natur fordert, bewegt sich in weltlichen Zusammenhängen. Was der biblische Schöpfungsbericht erzählt, sind ja Glaubensaussagen, wo es um geistliche Dinge geht, z.B. das Verhältnis von Gott und Mensch, Schöpfer und Geschöpf.
VS: Ach, ich erinnere. Das ist doch die Sache, die die Zeugen Jehovas gern für ihre Haustür-Missionen benutzt haben: „Glaubst du an die Schöpfung oder an den Urknall“, war da immer die Frage.
MM: Ja, damit wollten sie die Leute in die Enge treiben: Glaube oder Nicht-Glaube? Entscheide dich! Aber auf diese Masche sollte man nicht reinfallen. Schöpfung – Urknall, das muss man nicht als Entweder-Oder sehen, sondern das kann beides nebeneinander bestehen. Es sind unterschiedliche Deutungen, die man nicht vermischen sollte.
VS: Aber Naturschutz und Bewahrung der Schöpfung haben doch trotzdem miteinander zu tun. Wer das eine tut, kann das andere doch nicht lassen.
MM: Das sehe ich auch so. Auf diese Weise kann man beide Deutungen aufeinander beziehen und zum Beispiel fragen: Was trägt mein christlicher Glaube dazu bei, dass ich verantwortungsvoll mit der Natur umgehe, dass ich mich für den Klimaschutz einsetze, dass ich ein Herz für Tiere habe usw.
VS: Was ist Ihre Antwort?
MM: Glaube ist für mich eine Seh-Schule. Er öffnet mir die Augen und alle anderen Sinne. Ich nehme die Welt intensiver wahr, gerate ins Staunen über die Wunder der Schöpfung und erkenne wie großartig das alles ist und funktioniert. Wie von selbst kommt da der Gedanke, dass dies kein Zufall sein kann, sondern dass ein großer Schöpfergeist und eine starke Schöpferkraft dahinter stehen muss. Albert Schweitzer nannte diese Haltung „Ehrfurcht vor dem Leben“.
VS: Verstehe ich Sie richtig? Wer verantwortungsvoll mit der Natur umgehen will, muss sie zuerst einmal mit wachen Sinnen entdecken und lieben lernen.
MM: Ja, diese Haltung teile ich mit Albert Schweitzer und vielen anderen Zeugen des christlichen Glaubens. Zu erkennen, dass ich selbst ein Teil dieser großartigen Schöpfung bin, macht mich klein und groß zugleich. Ich werde demütig und bin zugleich stolz darauf, ein Geschöpf dieses Schöpfers zu sein und zusammen mit den anderen Geschöpfen leben zu dürfen.
VS: Angefangen beim Regenwurm bis hin zu dem Wechsel der Jahreszeiten.
MM: O ja. Frühling, Sommer, Herbst und Winter – keine dieser Jahreszeiten möchte ich missen. Jede hat ihren Reiz. Vivaldi hat sie ja in seinem Werk „Die Vier Jahreszeiten“ feinsinnig und unverwechselbar anmutend zum Ausdruck gebracht. Diese Musik ist nicht nur Naturbeschreibung in Tönen, sondern trägt auch eine religiöse Dimension in sich.
VS: Beim Komponieren wird das Geschöpf, inspiriert durch die Schöpfung, selbst zu einem Schöpfer.
MM: Sie sagen es. Diesen Zusammenhang hat der Dichter des 8. Psalms in der Bibel wunderbar in Verse gekleidet: „Herr, mein Gott, Wenn ich sehe die Himmel, deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne, die du bereitet hast: was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst? Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott, mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt. Du hast ihn zum Herrn gemacht über deiner Hände Werk …“ (Ps 8, 4-7).
VS: O je. Das hätte er sich vielleicht besser überlegen sollen, oder?
MM: Tja, anders als Gott fabriziert der Mensch leider nicht nur Gutes. Den sogenannten „Herrschaftsauftrag“, den Gott dem Menschen laut Schöpfungsbericht gegeben hat, wurde im Laufe der Menschheitsgeschichte so oft schon vergeigt und missbraucht. „Machet sie (meine Geschöpfe) euch untertan und herrschet über sie“, heißt es in der Lutherübersetzung (1. Mose 1, 28). Das haben viele missverstanden, haben sich über die anderen Geschöpfe erhoben und gedacht, sie könnten mit ihnen machen, was sie wollten.
Das ist ja leider bis heute nicht besser geworden: Massentierhaltung, Raubbau an den Urwäldern, Versiegelung von Naturflächen, die Liste der Umweltsünden ist lang. Wenn der Mensch Gott nicht mehr auf dem Schirm hat und so das Verhältnis von Schöpfer und Geschöpf gestört ist, kann auch die Beziehung des Menschen zu seiner Umwelt und seinen Mitgeschöpfen nicht in Ordnung sein. Haben-, Herrschen- und Geltenwollen sind die drei Übel der Macht, wo das Gute und das Böse dicht beieinander liegen können.
VS: Gibt es Vorbilder, von denen wir lernen können, wie „Ehrfurcht vor dem Leben“ funktioniert? Nicht nur sonntags beim Waldspaziergang, sondern als persönliche Grundhaltung?
MM: Mir kommt Franz von Assissi (1182-1226) in den Sinn. Er, der damalige Mönch, zählt heute zu den beliebtesten und bekanntesten Heiligen. Er hat Anhänger bei kirchentreuen Katholiken, bei liberalen Protestanten und auch bei Umwelt- und Friedensaktivisten. Echt ökumenisch. Und das liegt wohl an der liebevollen Art, mit der er anderen begegnete. Mit jedem Schritt seines Lebens hat Franziskus auf Gott verwiesen. Davon zeugt auch sein berühmtes Werk „Sonnengesang“ (1225). Darin bezeichnet er alle Kreaturen als seine „Schwestern und Brüder“, die Sonne, den Mond, das Wasser, die Sterne, das Feuer, sogar den Tod.
VS: Beeindruckend.
MM: Finde ich auch. Und diese Ehrfurcht vor der Kreatur hat nichts mit romantischer Idylle zu tun und auch nichts mit Angst um ein Weiterbestehen der Erde, die uns heute im Nacken sitzt. Er war der tiefen Überzeugung, dass alles Zeitliche mit dem Ewigen zusammenhängt und alle Geschöpfe von Gott stammen und in ihm verbunden und bewahrt sind.
VS: Wissen das die Anhänger von „Fridays for Future“?
MM: Sollten sie! Wer heute für Klima- und Naturschutz eintritt und weitere Leute zum Mitmachen gewinnen möchte, braucht gute Argumente. Wie heißt es doch so schön: ‚Wenn du ein Schiff bauen willst und eine Crew suchst, wecke in ihnen die Sehnsucht nach dem großen weiten Meer.‘ In diesem Sinne hat Jesus es verstanden, die Herzen der Menschen für Gott zu öffnen. Das ist die Basis, auf der das Gute wächst und wir im Natur- und Klimaschutz echt was erreichen können.
VS: Wie verbringen Sie den Sommer, Pastor Marks?
MM: Viel in der Natur. Und am liebsten singend: „Geh aus, mein Herz, und suche Freud in dieser lieben Sommerzeit an deines Gottes Gaben.“
VS: Vielen Dank für das Gespräch!
MM: Immer gern.